Jörg Meierotte
»Auf der Westlichen Welt wurde der Fehler gemacht, dass alle, die dort mit ihren Magiragruppen begonnen haben, auf eine geschichts- und damit gesichtslose Landmasse stießen. Auf der Alten Welt hingegen wurde nach der Finsternis mit bereits vorab verteilten Reichen begonnen. Dadurch erhielten die einzelnen Magiragruppen die Möglichkeit, ihren Reichen eine Vorgeschichte einschließlich Legenden, Sagen und ähnlichem zu geben. Dies dürfte unter anderem einer der Gründe sein, warum die Alte Welt für viele attraktiver ist – oder zumindest gewesen ist – als die Westliche Welt. Die Magiragruppen, die auf der Östlichen Welt beginnen, sollten diesen Fehler nicht wiederholen, sondern bereits mit einem Reich beginnen.«
Matthias Bogenschneider, Armageddon-Nachrichten 30, Follow 342, 1994
Um die Notwendigkeit der folgenden Abfassung zu verdeutlichen, habe ich ganz bewusst dieses Zitat von Matthias Bogenschneider gewählt und an den Anfang gesetzt. Es warnt nach Erfahrungen mit der Yddia deutlich davor, bei der Erstellung neuer magiranischer Welten die Vorgeschichte dieser Welten zu vernachlässigen beziehungsweise auszuklammern. Ich will damit nicht sagen, dass diese Fehler auf der Estlichen Welt wiederholt oder auf der Weslichen Welt gar gemacht wurden. Dort, wo aktive Magiragruppen die Ländereien übernahmen, finden wir heute die erarbeiteten Hintergründe die einen enzyklopädischen Rahmen schaffen.
Dies ist allerdings nicht für alle Regionen der Fall, beispielsweise in der Startregion des Greifen im Ydd des Kontinents, was an der Inaktivität der dort beginnenden Magiragruppe lag, deren Gebiet zügig noch im letzten Jahrtausend unter den Nachbarn aufgeteilt oder an neue Spieler abgetreten wurde.
Heute finden wir als Horde der Finsternis, nun in diesem Gebiet ansässig, eine Situation vor, in der nichts beschrieben ist. Die Städte, die wir eingenommen haben, wurden von anderen Spielern liebevoll Hurenstädte genannt, auch wenn sie hin und wieder kulturspezifische oder gar unsinnige Namen bekamen.
Dieser Text beginnt mit der notwendigen Grundlagenarbeit, um diese Gegend nicht nur mit Zinnfiguren, sondern auch mit Fantasie bespielen zu können. Er mag vielleicht nicht sonderlich lang sein, doch stecken darin viele Stunden der Recherche. Alte Spielberichte wurden gesichtet, Clanletter verschiedener Clans aus verschiedenen Zeiten durchforstet, EWS-Protokolle nachvollzogen. Auf der einen Seite war es eine interessante Spurensuche durch 25 Jahre Geschichte der Estlichen Welt, auf der anderen Seite war es ernüchternd wie wenig Material tatsächlich vorhanden und in welchem Maße es verstreut war.
Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Wolfgang Scheyrer und Hermann Schmid, die geduldig bei jeder meiner Fragen hilfreich zur Seite standen. Ihr ermöglicht es, dass wir dieser Region Hintergrund, Legenden, Geschichten und Charakter geben.
Teil I – Vor der Finsternis bis zum Verschwinden des Nebels
Diese Schrift behandelt die Geschichte der Region namens Greifenrücken, ein Hoch- und Bergland umfassender, sich von Nor nach Sud erstreckender, das norliche Tiefland der Estlichen Welt trennender Gebirgszug, sowie des sich von dort aus bis zum weslich liegenden Hagansgolf erstreckende Tiefland, genannt Greifenleere, welches sich im Sud bis zum Sangu-Delta sowie im Mir bis zum Hochland Rudravid. Auch behandelt sie die Insel Litaria.
Sie umfasst dabei sowohl geographische, enzyklopädische als auch politische Bestandteile und soll dadurch einen allgemeinen Überblick bieten.
Urbevölkerung, deren Lebensform und die Ereignisse vor der Finsternis
Über die menschliche Urbevölkerung vor der Finsternis wissen wir heute nur noch wenig. Laut verschiedenen Quellen waren sie von gelblicher Hautfarbe und lebten als Nomaden in einer Stammes- und Sippenstruktur. Sie zogen mit ihren Tierherden durch die Weite der Ebenen, auch wenn an den Küstengebieten Fischerei oder das Sammeln von Muscheln nicht unüblich war.
Die Vorkommen verschiedener Ressourcen wie Steine, Kupfer und Zinn sowie die aufkommende Landwirtschaft, die die wachsende Bevölkerung besser ernähren konnte, führte zu ersten Siedlungen, auf den höheren Gebieten des Greifenrückens und des Rudravid sogar kleinere Städte, deren Lage und Bedeutung heute in Vergessenheit geraten ist. Eine Ausnahme bildet die Stadt Meggoddin, die die Wolsi heute Megg Addon nennen. Die Besiedlung dieser Gegend kann bis vor der Finsternis zurückverfolgt werden.
So lebte die Bevölkerung bis zum Jahre 1047 nach Kreos. In diesem Jahr durchzogen Truppen des Löwenreiches, welches bereits auf der Alten Welt eine enorme Größe erreicht hatte, die beschriebenen Gebiete und verstanden die Region als Teil der Kolonie ›Neu-Wolsan‹, die weitaus größer war als der Greifenrücken und seine Umgebung. Dies gelang ihnen im Besonderen durch ihren Organisationsgrad sowie ihre technische Überlegenheit, denn sie nutzten beispielsweise bereits Waffen aus Eisen.
Neben den Wolsi sind zwei weitere Völker für die Zeit nach der Landnahme des Löwen bis zum Einbruch der Finsternis im Bärenmond 1050 nK für diese Region von Bedeutung: Die Atharer und die Golonen.
Die Atharer unter ihrem Herrscher Athar Uthar waren kein Volk der Estlichen Welt. Im Jahre 1047 nK lebten sie für kurze Zeit in der Region um die Stadt Priem im Wald von Valusien. 1048 nK gaben sie diese Gebiete auf, um im Austausch mit Taurinderehus IV von Galusien Schiffe und Kriegsmaterialien zu erhalten. Diese nutzten sie, um in die Region des Greifenrückens einzufallen und diese 1049 nK vom Löwen zu erobern, denn sie waren zu Beginn des so genannten Östlichen Weltkrieges zuerst Teil der Wolfsliga, die gegen die Übermacht der Wolsi kämpfte. In dieser Zeit fiel bei der so genannten »Hagelschlacht« auch Athar Uthar. Leider können wir heute nicht mehr nachvollziehen wo genau diese sagenumwobene Schlacht stattgefunden hat. Sein Nachfolger, Azal Khri II, wechselte die Seite, sodass die Atharer nun in der Löwenunion gegen die Wolfsliga kämpften. Die Golonen unter ihrem Seekönig Hagan waren ebenfalls kein Volk der Estlichen Welt. Aus dem Nor kommend, betraten ihre Recken 1049 nK in der Nähe des heutigen Ashkalin die Estliche Welt. Als Teil der Löwenunion bewegten sie sich in die Region estlich und mirlich des Greifenrückens und trafen dort auf die Soghiden um Wardan Chudah sowie die Etlandwali, mit denen sie sich vorerst belauerten. Auch das Volk der Atharer bewegte sich in diese Region und ließ das Tiefland weslich des Rückens zurück, in welches nun wieder die Wolsi für kurze Zeit vordringen konnten.
1050 nK ging in die Geschichte Magiras ein als jenes Jahr, in dem die Finsternis über alle Völker hereinbrechen sollte. Doch bevor dies geschah, übte Seekönig Hagan Verrat an der Löwenunion und wechselte zur Wolfsliga. Seine Golonen konnten gemeinsam mit den Etlandwali und den Soghiden die Atharer vernichten. Im Anschluss entrissen sie die Region um den Greifenrücken den Wolsi, welche ihre Kräfte für die Eroberung der Stadt Priem konzentrierten. So kam es, dass zum Ende dieses vorfinsterlichen Zeitalters die Golonen neben den oben beschriebenen Ureinwohnern in der Region um den Greifenrücken lebten.
Während der Finsternis: Drei Völker verschmelzen zu Einem
Seekönig Hagan erkannte schnell die Gefahren der nun vorherrschenden Finsternis für sein Volk und beschloss umgehend das Gebiet um den Greifenrücken mit uns heute unbekanntem Ziel zu verlassen. Viele Golonen hörten seinen Ruf, doch nicht alle. Ob dies eine direkte Auswirkung der Finsternis war oder an anderen Gegebenheiten lag, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Jedenfalls sollen die vielen Schiffe Hagans von der Küste bis zum Horizont gereicht haben, weshalb man den Meeresarm weslich der Greifenleere heute noch Hagansgolf nennt. Heute finden wir die Golonen in Gybal-Sham auf der Yddia wieder.
Die auf der Estlichen Welt zurückgebliebenen Golonen lebten in dieser gefährlichen Zeit friedvoll mit der Urbevölkerung zusammen, besonders in den Küsten- und Flussgebieten des Sangu-Deltas. In der gesamten Region verschmolzen diese beiden Völker zu einem.
Im Laufe der Finsternis kam es zu einer weiteren Verschmelzung. Die Wolsi der Estlichen Welt, die sich zu Beginn der Finsternis im Hochland im Ydd-Wes der Estlichen Welt befinden, verließen diese Region in Richtung Nor, wo wir heute ihr Reich Ena Wolsan finden. Die Gründe für ihre Völkerwanderung sowie die zeitliche Dauer sind heute nicht bekannt.
Nach der Finsternis: Das Volk der Homiiden und der Greifenbund
Durch diese beschriebene Verschmelzung der Ureinwohner zuerst mit Teilen der verbliebenen Golonen, später mit Teilen der verbliebenen Wolsi entsteht im Laufe der Finsternis ein Volk, das sich vom Greifenrücken aus über die Greifenleere bis hin zum Hagansgolf erstreckt als auch Teile des Hochlandes Rudravid umfasst und heute als Homiiden bekannt sind. Es spricht Wolsisch, wenn auch mit einem eigenen, deutlichen Dialekt. Es gibt zwar einige größere Städte, allerdings ist ihre Kultur nicht sonderlich urban geprägt. Der Großteil lebt in familiären Strukturen, sesshaft auf Höfen oder kleineren Dörfern auf dem Land, besonders in den wärmeren Küstenregionen, wo Strömungen im Hagansgolf das sonst kalte Klima erträglicher machen.
Nichtsdestotrotz haben sich bis zum Ende der Finsternis einige größere Städte gebildet, namentlich Ashkalin, Naburit und Timoris, die allesamt in der Greifenleere liegen, als auch Meggoddin im Hochland von Rudravid sowie Lenduris und Greifenstein auf jeweils unterschiedlichen Seiten des Greifenrückens. Kurze Zeit nach dem Ende der Finsternis erlangte die Stadt Ruthron auf der Insel Litaria ebenfalls Bedeutung.
Die Herrscher über Greifenstein, der deutlich größten Stadt der Region, schafften es in den folgenden Jahren die anderen Städte in einem losen Verteidigungsbündnis zu vereinen, dem so genannten Greifenbund, um sich vor äußeren Feinden zu schützen. Zu ihren Nachbarn hielten die Homiiden wenig Kontakt. Das durchaus zur Seefahrt begabte Volk musste zudem feststellen, dass die Meere jenseits der Küstenregion von einem solchen Nebel überzogen waren, dass das Navigieren unmöglich war. Jene, die in diesen Nebel fuhren, kehrten nie wieder zurück.
Der Greif hat eine besondere Stellung im Glauben der Homiiden, und das nicht nur in Form des ›Großen Greifen‹, der Wolsor, den ersten Wols erschaffen haben soll. Sie gelten auf der einen Seite als Beschützer des Landes. Die Sichtung der Tiere oder gar deren Federn, Krallen oder andere Teile ihres Körpers sollen Glück, Wohlstand oder Liebe bringen. Auf der anderen Seite werden diese Wesen auch gefürchtet, da sie sich häufiger gegen die Menschen wenden, ja sie sogar fressen würden.
Des Weiteren taucht der Greif in verschiedenen Legenden auf. Die Halbgöttin Timoria soll auf einem solchen Tier geritten sein. Eine andere Sage besagt, dass in jeder der größeren Städte sowie in Ruthron zum Ende der Finsternis ein Greif als Bote des wechselnden Zeitalters gesichtet wurde. Sowohl die Herrscher über Greifenstein als auch die Priesterinnen von Timoris behaupten bis heute, dass sogar zwei Greifen in ihre Stadt gekommen seien.
In den kommenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den verschiedenen Städten. So stritten sich seit dem Ende der Finsternis; besonders die Städte Naburit und Timoris bekriegten sich über verschiedene Bergbauregionen. Des weiteren stellte Timoris den Führungsanspruch der Herrscher von Greifenstein über den Greifenbund häufiger in Frage.
Im Jahre 33 nach der Finsternis verschwand der Nebel über dem Endlosen Ozean. Wurde dieser Nebel von den Einheimischen oft als Barriere verstanden, der sie daran hinderte, das Wissen ihrer Vorfahren bezüglich der Seefahrt zu nutzen und Magira zu erkunden, so stellte er sich rückblickend doch als Schutz gegen weitere Völker heraus, die schneller mit den Homiiden in Kontakt traten, als es ihnen lieb war …
GREIFENRÜCKEN UND GREIFENLEERE
Teil I – Vor der Finsternis bis zum Verschwinden des Nebels
Jörg Meierotte
Mainz & Wiesbaden, April & Mai 2019