»Blitze zuckten wie die Finger eines arthritischen Hexers über meinen Leib.« Genau so würde sein Bericht beginnen, feixte Rho als die Blitze eines arthritischen Zauberers sich in seinen dämonischen Körper fraßen. Seine Flügel waren von den magischen Pfeilfallen am Eingang des Kerkers zerfleddert worden, so rannte er den Gang entlang in den tiefsten Teil des Komplexes. Armbrustbolzen surrten eng an seinem Kopf vorbei. Rufe, angst- und hasserfüllt begleiteten seine Schritte. Sie waren ihm dicht auf den Fersen. Noch zehn Schritte, dann würde er das letzte Tor erreichen. Dieses sollte eigentlich Smirok, einen Schwarzer Zwerg aus Ureban, aufbrechen, doch den hatten eine magische Falle kurz hinter dem Eingang erwischt. So blieb Rho nur der dämonische Weg: Mit einem Schrei des Triumphs sprang er, rammte seine Hörner in das Tor und … blieb stecken.
»Ein Glück, dass niemand das hier sieht, der morgen noch lebt«, grummelte er benommen, während er gegen die Ohnmacht ankämpfte. Zu seinem Glück fand genau in diesem Augenblick ein Bolzen sein Ziel in seinem Gesäß. Das saß. Und holte ihn zurück unter die Erde. Mit einem Schmerzensschrei riss er seinen Kopf aus dem Tor, drehte sich um und spuckte einen breiten Flammenstrahl den Gang hinauf. Die Verfolger warfen sich zur Seite, was ihm genug Zeit gab, die Reste des Tors mit seinen Klauen niederzureißen. Augenblicke später war er hindurch, sprang über die letzten magischen Siegel und stand auf der Kuppel, die den Gefangenen hielt.
Der Gefangene. Rho wusste wenig über ihn, außer dass diese Menschen ihn vor Hunderten von Jahren einsperrten. Sein Gewährsmann aus dem Ministerium für Geschichtsschreibung und Propaganda hatte kaum was über ihn herausgefunden. Flüsterer nannten sie ihn, ein recht unspektakulärer Name, der auf seine Gefährlichkeit hindeutete. Allein die Tatsache, dass er eingesperrt war, war für Rho Grund genug, ihn zu befreien. Im Namen der Horde, im Namen der Freiheit!
Während er den Bolzen aus seinem Hintern entfernte, hinkte Rho über die Kuppel. Er schnüffelte, fand die Feldlinien der Wächtersiegel. Schwierig. Die Dinger waren nicht nur innen, sondern auch nach außen gesichert. Probeweise versuchte er sie mit den Krallen zu zerfetzen – mit dem Erfolg, daß eine magische Entladung seinen Zeigefinger verkohlte.
Ein leises Raunen zog durch seinen Kopf, ein Verlangen beseelte ihn, die Kuppel einzureißen. Nicht, dass dies bei Dämonen viel Eindruck geschunden hätte, aber beseelt zu werden, das machte ihn irgendwie fröhlich.
»Bin dabei!«, rief er. Und machte damit den Wächter-Zauberer auf sich aufmerksam, der als Mutigster seinen Kopf durch das Loch im Tor gereckt hatte. Schneller als Rho einen Stein werfen konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Fieberhaft suchte Rho nach einer Schwachstelle im Bannsiegel, während vor dem Tor okkulte Formeln geschrien wurden. Rhos Ohren stellten sich auf, ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Sicher, Rho war gerade dabei die Wächter ihres Lebenszwecks zu berauben, aber er hätte nicht gedacht, dass der Zauberer so weit gehen würde. Eine Beschwörung? Der Alte opferte einen Teil seiner Seele, röchelte sie heraus in Stimmband-zerfetzenden Silben. Dann explodierte der Rest des Tores nach innen.
»Du?« Zwei dämonische Stimmen grollten überrascht durch den weiten Saal. Die beiden Kontrahenten beäugten sich misstrauisch, unentschlossen.Sinco erholte sich schneller von der Überraschung. Seine giftigen Tentakeln schossen nach vorne, leicht zur linken von Rho, drängten ihn nach rechts. Skatpartner oder nicht, ein Vertrag war ein Vertrag und die Seele des Zauberers war viel wert. Rho rollte sich nach rechts und rammte seinen Fuss unter eine lose Kachel im Boden. Dann blickte er schockiert auf den Fuss, dann ängstlich auf seinen Skatpartner. Sinco zischelte siegessicher. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf den Gehörnten zu, die drei breiten Hufe voran. Rho wartete bis zum letzten Augenblick, zog den Fuß aus dem Boden und machte einen Schritt zur Seite. Sincos Hufe schlugen in den Stein ein wie Onagerkugeln, rammten durch die Bannsiegel und die Kuppeldecke. Mit einem überraschten »Du Arsch!« verschwand er im Dunkel darunter. Rho grinste sein Haifischgrinsen, blickte zu dem schockierten Zauberer hinüber und sprang hinterher.
Auf halbem Weg fiel ihm ein, dass seine Flügel kaputt waren.
Die Kuppel hatte einen Abgrund verdeckt, einen Abgrund voller scharfer Grate und spitzer Stalagmiten. Einer davon hatte Sinco aufgespießt, der nun brüllend versuchte davon loszukommen. Rho prallte von einigen der Steine ab, bis er auf einem breiten Sims aufschlug. Mühsam rappelte er sich auf, blickte sich um. Dort in der Finsternis, ein Schemen.
»Was auch immer er ist, fliegen kann er nicht«, bemerkte Rho und stieg zu ihm hinab.
Der Schemen war menschenähnlich, zwei Schritt hoch und grauschwarz. Und er säuselte, raunte, vage verständlich und doch zu leise, um ihn zu verstehen. Doch sein Wunsch war klar. Der Dämon und der Flüsterer kamen sich näher.
Rho leierte seinen Standardsatz herunter: »Sei gegrüßt, mein Name ist Rho un Garr und ich bin dein Befreier. Zumindest sobald Du dieses Pergament unterzeichnest.« Der Flüsterer wirkte verwundert. »Das ist nur das übliche Zeug – Nichtangriffsklausel, Übertragung der Grabbeigaben und so. Ich würde Dir empfehlen, schnell zu unterschreiben.«
Das Grollen des anderen Dämonen hatte sich in ein angestrengtes Ächzen verwandelt. Offensichtlich hatte er einen Halt gefunden, mit dem er sich von dem Stalagmiten hebeln konnte. Rho blickte nach oben: »Also, ich meine wirklich schnell.« Um sich herum sah der Dämon keine Deckung, der Sims war zu schmal um zur Seite zu springen.
»Was ist? Unterschreib schon!«, drängte er weiter. Der Flüsterer schien zu zagen. »Ja natürlich sind da noch die Zusatzabschnitte, ist ja ganz normal. Aber hey, für den Dienst bei mir bekommst Du Deine Freiheit! Frei sein, das willst Du doch, oder?!«
Doch der Flüsterer schien das Konzept von Freiheit durch Knechtschaft nicht zu verstehen. Rho seinerseits bekam den Eindruck von oben über eine Hufspitze angepeilt zu werden. »Unterschreib jetzt, oder der da endet Dich!« Der Schemen blickte nach oben, dann zu Rho, dann in den Abgrund. Einige obskure Glyphen erschienen auf dem Pergament. Er schien zu unhörbar zu seufzen.
»Besten Dank!«, rief Rho und begann auf dem Sims hin und her zu springen, während er nach Steinen suchte. Dann hörte er das bekannte Jauchzen seines Skatkumpanen, gefolgt von rauschender Luft. Rho warf den Stein. Ein Trefferwurf! Der Stein versenkte sich in Sincos fünftes Auge, er schrie auf, traf den Rand des Sims und brach hindurch.
Rho und der Flüsterer hörten ihm lange zu, wie er tiefer und tiefer den Abgrund herunterstürzte. Dann lud Rho den Schemen auf seinen Rücken – was nicht einfach war, denn dessen Natur war nicht greifbar – und kletterte langsam nach oben, wo die überlebenden Wächter sie erwarteten. Er musste dem Schemen nicht sagen, was er wollte. Kaum waren sie an der Kuppeldecke angekommen, hörte er wütendes Geschrei, dann menschliche Schmerzensschreie. Der Flüsterer hatte Zwietracht gesät und Stille beantwortete sein Werk.
EINFLÜSTERUNGEN
F.M.
Mai 2017