Eine neue Vereinbarung

Jörg Meierotte

Diese Geschichte spielt wieder im magiranischen »Hier und Jetzt«, also zu Beginn des Jahres 52 nach dem vorläufigen Ende der Finsternis.

»Meine Güte, hast du dich im Dämonenpalast verlaufen?« Samsa war deutlich genervt, dass er so lange auf Azi Azatoth warten musste. Als der Stellvertreter des Dämonenlords in das Besprechungszimmer kam, versuchte sich der Feldherr mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten auf eben jenem Stuhl zu entspannen, der bei der letzten Besprechung noch Azi als Sitzplatz gedient hatte. Als säße der Dunkelelf auf einem Thron, so war es zumindest in der Erinnerung Samsas verankert.

»Das ist mein Platz«, sagte Azi ernst. Samsa schwebte daraufhin kurz in der Luft, drehte sich dort zweimal und kam sanft zurück auf die Beine. Dann fuchtelte er mit der Rechten zweimal über die Sitzfläche, so als wolle er sie noch mal reinigen, bevor er den Platz wieder freigab. Azis Blick war starr, dann setzte er sich und Samsa schritt im Raum auf und ab.

Zeit verging.

Dann:
»Ich habe keine Lust mehr für dich durch die Gegend zu fahren, geschätzter Freund«, sagte der Hüne ernst, ohne seinem Gegenüber in die Augen zu sehen.
»Diese anderen Völker widern mich an. Sie sind so festgefahren in ihrer Einstellung und ihren Vorteilen gegenüber der Horde und der Finsternis.«

Kurze Pause.

»Aber man muss auch sagen: Das ist eben das Resultat der Außenpolitik der letzten 20 Jahre. Verflucht sei der Reiter! Mit mir am Steuer wäre das nicht so einfach passiert.«
» Kritik an meiner Führung, Samsa?« Zu Azi Azatoths Stimme passte nur ein Ausdruck: gereizt.
»Nein, nein«, erwiderte Samsa schnell. Ein bisschen zu …
»Ich hätte ja vermutlich genauso gehandelt. Trotzdem sind meine Karten beim magiranischen Spiel eher … schlechte. Ich habe nicht die Zeit unter dem Fluch des Reiters gelitten um nun meine Zeit so zu verbringen.«
»Und Du hast einen Vorschlag?« Azis Reizzustand nahm angesichts Samsas Attitüden noch ein wenig zu. Noch nicht überreizt, aber dicht dran.
»Eine neue Vereinbarung. Ernenne doch einen anderen zum Feldherren der Finsternis.«
Azi wirkte wenig überrascht.
»Im Endeffekt willst du also Urlaub. Mit Verlaub: Dein Körper sieht auch immer … bescheidener aus.«
»Ich weiß, und du hattest mir einen neuen versprochen.«
»Aber du solltest mit etwas dafür besorgen, und bisher bist du gescheitert.«
»Weil eure Durchlauchtheit auch nicht weiß wo es zu finden ist.«

Ein scharfes Atemholen. Ein wütender Blick. Und sehr gedehnt die nächsten Worte: »Hast du mich gerade Durchlauchtheit genannt?«
»Offensichtlich.«
Eine sehr schnelle Antwort. Und eine eisige Reaktion. Nicht laut, aber deutlich ausgesprochen.
»Nimm das zurück, du halbtoter Albyoni. So redest du nicht mit mir!«
Samsa ließ seinen Satz erst mal im Raum stehen. Nicht, dass er nicht die Stirn hätte, diesen Streit fortzusetzen, aber eine etwas weniger gereizte Stimmung seines Gegenübers würde ihn sicherlich seinem Ziel näher bringen.
»Dann nehme ich es zurück, eure Gelassenheit. Mit dem Ausdruck des Bedauerns.«
Nur wollte sich dieser Ausdruck auf seinem Gesicht nicht einstellen.

Pause.

»Akzeptiert. Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema.« Azi lehnte sich während dieser Worte zurück. Zwang sich zu einem Lächeln. Für irgendetwas musste dieses Anti-Aggressionstraining ja nütze gewesen sein. Und sei es nur, nicht ständig neues Personal suchen zu müssen.
»Es sieht tatsächlich so aus, als könntest du etwas Urlaub vertragen. Den will ich dir gewähren, zumindest zum Teil. Wir haben da einen kleinen Spezialauftrag in Huanaca zu erledigen. Aber man kann es auch einen amüsanten Kurzurlaub nennen. Es geht um die Zwietracht zweier Völker, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und um eine Menge Gold. Du weißt, wie einfach die meisten Magiraner mit Gold zu beeindrucken sind. Du weißt, dass es kaum einen Stoff gibt, der den wahren Magiraner zum Vorschein bring. Gold zeigt uns, wie weit wir zu gehen bereit sind. Stachelt Ehrgeiz und ein bisschen Gier an. Goldene Zeiten.«
»Deshalb müssen wir dort sein, wo es Gold gibt. Damit könnten wir unseren Ruf festigen. Und rein zufällig gibt es auf Huanaca einen Ort, wo man das Zeug in reichen Mengen entdeckt hat. Und die beiden besagten Völker werden sich in naher Zukunft streiten. Und, so banal das klingen mag: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Und du wirst zusehen, dass wir dieser Dritte sind. Und noch was…«
Azi winkte Samsa zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Auf zwei Gesichtern erschien ein breites Grinsen.
Samsa erwies dem Stellvertreter des Dämonenlords zum ersten Mal seit Langem die Ehre und verneigte sich. Er wandte sich dann ab, doch kurz bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um: »Und wer führt denn nun das Heer?«
»Ach, irgendeinen Dummkopf werden wir schon finden.«

DIE NEUE VEREINBARUNG
Jörg Meierotte / feat. Michael Scheuch
Walldorf, Frankfurt am Main, Bickenbach
Dezember 2014

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