Echo
Der Geschichte um die Blauhelme erster Teil
Es ist das Jahr Achtundvierzig nach dem vorläufigen Ende der Finsternis. Diese Erzählung spielt im gleichen Zeitraum wie »Die Vereinbarung« aus dem Dämonenboten 70 (Follow 412).
Es war einer der ersten wärmeren Tage am neuen Hafen in Ureban na Xertes. Die sprießenden ersten Blätter der Büsche und Sträucher, die am Ufer standen, wurden von einem kalten, feuchten Wind durchzogen. Nur leicht schien die Nachmittagssonne durch einzelne, graue Wolkenfetzen hervor.
Der kalte Wind machte Taz Breitbrust nichts aus. Der Goblin mit dunkelgrüner Hautfarbe saß mit nacktem Oberkörper vor seiner kleinen, schlecht konstruierten Hütte am äußersten Rand des Hafens und brachte einen kleinen Topf mit einer klaren Flüssigkeit zum Kochen, als Limm vorbeikam. »Hey Taz,« sprach der Neuankömmling fröhlich. Limm war ebenfalls ein Goblin und die beiden waren für Wesen, die keine Goblins waren, nur durch ihre Kleidung zu unterscheiden. Limm trug ein langes, einfaches Kleidungsstück in grauer Farbe, sowie einen Strohhut mit einer großen, mittlerweile an vielen Stellen aufgeriebenen Krempe. Über seiner Schulter trug er eine Angel, die mit vielen kleinen, zusätzlichen Gerätschaften versehen war. Niemand im neuen Hafen wusste genau, wie sie funktionieren, aber aufgrund seiner enormen Reichweite beim Auswerfen der Angel trug Limm den Beinamen ‚Weitwurf‘.
»Grüß dich Limm. Wie beißen sie denn heute?«
»Wieder besser. Die Sonne treibt die Fische weiter an die Oberfläche und da gehen sie mir an den Haken. Kreuzende Boote der anderen Fischer machen mir allerdings immer wieder Probleme. Kann aber sonst nicht klagen. Was kochst du da?«
»Muschelsuppe. Konnte heute das erste Mal wieder tauchen. Doch wie immer, keine Perlen.« Limm legte kurz einen mitleidsvollen Gesichtsausdruck auf. »Willst du auch welche? Dann werfe ich ein paar mehr hinein.« Weitwurf nickte nur, drehte sich um und schaute aufs Meer vor der Schädelinsel hinaus. Man hörte nur das Prasseln des Feuers und das leichte Geräusch, das Wellen machen, wenn sie an Land gespült werden. Nachdem Taz die Muscheln in die Blasen werfende Flüssigkeit warf, drehte sich Limm wieder zu ihm um.»Wann hast du das letzte Mal ein fremdes Schiff hier in den Hafen ankern sehen?«
Taz überlegte kurz, bis er antwortete. »Das ist schon länger her. Mein Vater, der bekannte Gur, hat mir von Zeiten erzählt, als Massen an Wesen, die dem Dämonenlord dienen wollten, hier ankamen. Doch in letzter Zeit… Vielleicht hat man uns jenseits des Ozeans schon wieder vergessen.« Bei diesen Worten zuckte Taz mit der Schulter und rührte den Topf um. Limm nahm den Faden wieder auf.
»Da vorne kommt auf jeden Fall ein Schiff.« Taz schaute auf, betrachtete den nur in der Ferne zu erkennende Einmaster. Dann wandte er sich wieder dem Topf zu. Er legte ein kleines Stück Holz nach. Es war Limm, der erneut das Gespräch weiterführte.
»Bei dem Wind brauchen die noch viele Momente, bis sie im Hafen ankommen. Würde mich aber schon interessieren, wer auf dem Schiff ist. Wir könnten ja Mal schauen.«
»Aber erst nach dem Essen, oder willst du keine Muschelsuppe mehr?«
»Sind wir fertig, bevor das Schiff den Hafen erreicht?«, fragte Weitwurf neugierig.
»Möglich,« gab Taz abwesend zurück. »Wir könnten darum wetten…«
Limm musste im Nachhinein zugeben, dass es seinerseits nicht sehr schlau war, auf das zeitliche Ende einer Mahlzeit zu tippen, besonders nicht, wenn er gegen Taz wettete und zudem darauf setzte, dass das Ende des Verzehrs der Muschelsuppe noch vor dem Anlegen des Schiffes liegen möge. Taz hatte sich verhalten, als würde er im Palast des Dämonenlords selbst zu Tische sitzen, wartend auf einen fünften Gang. So zog sich das Essen endlos hin und das Schiff war schon längst angekommen, bevor Breitbrust den letzten Löffel nahm.
Als sie in die Nähe des Stegs kamen, an dem der Einmaster nun lag, erkannten sie, dass das Schiff in einem kaum seetüchtigen Zustand war. Wer auch immer darauf gesegelt war, konnte sich glücklich schätzen, heil in Ureban na Xertes angekommen zu sein, so das Urteil von Weitwurf. Breitbrust machte sich wenig aus Schiffen, Nautik und Navigation und nickte nur bei jedem Wort des anderen Goblins.
Einige Momente später, Taz gähnte bereits zum zweiten Mal, brach Limm seinen Vortrag ab, als jemand ihm eine Hand auf die Schulter legte. Limm drehte sich um, erkannte den Goblin sofort und umarmte ihn herzlich.
»Taz, das hier ist mein Cousin mütterlicherseits. Sein Name ist Dogo.« Breitbrust betrachtete den Verwandten Weitwurfs und erkannte sofort die große Familienähnlichkeit. Er trug einen Gehrock mit einem Muster aus Schwarz und Grau sowie ein graues Hemd. In der rechten Hand hielt er einen Käfig aus Metall, in dem sich ein Hahn befand. Das Tier hatte rot unterlaufene Augen. Es schabte mit seinen Füßen am Boden des Käfigs gegen das Metall. Taz Augen blieben auf dem Vogel hängen.
»Fragst dich sicher, was ich mit der Kreatur will, Taz«, sprach Dogo ihn direkt an. »Gleich geht’s für den Jungen hier in den Ring. Hoffe, er wird’s nach Hause bringen. Wenn ja, dürfen wir das andere Tier mitnehmen. Das kommt dann heute Abend auf den Teller. Ne, Junge, du machst das.« Bei den letzten Worten streckte Dogo einen Finger in den Käfig. Das Tier pickte sofort mit seinem Schnabel wild darauf ein. Sein Besitzer zog den Finger schnell wieder hinaus. »Ja, der Junge ist heiß auf den Kampf.« Er leckte sich kurz den Finger, da dieser nun leicht blutete und fragte: »Was treibt euch denn heute hierhin? Habt ihr euch das Schiff angesehen?«
Limm antwortete: »Haben wir. Leider haben wir nicht gesehen, wer damit gereist ist.« Weitwurf warf Taz einen bösen Blick zu. Dogo unterbrach ihn: »Ich hab’s gesehen. Wenn ihr mitkommt, zum Kampf, dann kann ich’s euch auf dem Weg erzählen. Hab schon zu lange hier mit euch gestanden. Ich muss zu einer Lagerhalle im Handelshafen, nah am Drogenauktionshaus. Also, kommt ihr mit?« Limm und Taz nickten. Die Drei machten sich auf den Weg.
»Wer war denn nun auf dem Schiff?«, fragte Limm mit schneller Stimme und unterbrach das Schweigen, das die Worte des zuvor in der Gruppe geführten Gespräches verdrängt hatte.
»Keine Ahnung, ich kannte den nicht.«
»Den? War es nur einer? Auf dem ganzen Schiff?« Taz war erstaunt.
»Jap. ‚Nen riesiger Mensch, sicher seine sechs Fuß hoch. Man hat auch gleich gesehen, dass der aus Albyon kommen musste. Trug so einen dieser Röcke.« Die drei Goblins kamen an eine Kreuzung und bogen rechts ab. Aus der Ferne konnte man das für den Handelshafen übliche Schreien der Händler schon leise vernehmen.
Taz hakte nach: »War es wirklich nur einer? Wie soll der denn alleine das Schiff durch die ganzen Riffe vor der Schädelinsel hierher gebracht haben?«
»Wird wohl gewusst haben, dass man ’nen toten Steuermann braucht. Aber das weiß hier auf der Insel ja jedes Kind, außer wohl dir, Breitbrust. Zwei andere bleiche Menschen haben den Riesen sofort eingesammelt, noch bevor der Festland betreten konnte.« Die Stimmen des Marktes wurden lauter. Taz kratzte sich am Kopf, sodass kleine Hautschuppen auf den Boden fielen. »Ich werde daraus nicht schlau«, murmelte er vor sich hin. Die drei Goblins gingen noch einige Schritte weiter und standen vor dem Ziel ihrer kurzen Reise – einer kleinen, im Schatten liegenden Tür einer Nebengasse. Dogo schaute nach rechts, Dogo schaute nach links, dann klopfte er an die Tür. Zweimal langsam und dann zweimal sehr schnell. Man hörte ein Schloss sich drehen und dann die Tür einen Spalt weit aufgehen. Dogo schob eine Münze durch den sich ergebenen Schlitz, dann schloss sich die Tür wieder. »Was machen wir hier?« flüsterte Taz. Der Goblin mit dem Käfig in der Hand antwortete ihn in normaler Lautstärke: »Hier gibt’s so Mittel für die Tiere. Macht sie noch ’nen Tick aggressiver und schneller.« »Wieso verkauft man das Zeug dann nur hier?« »Ach Taz, du bist echt nicht der Hellste. Damit das Zeug nicht jeder hat«, antwortete ihm Weitwurf. »So isses,« bestätigte Dogo, bevor er bemerkte, dass sich unten an der Tür eine kleine Klappe öffnete und ein kleines, rundes Fläschchen hervor geschoben wurde. Er nahm die Flasche, öffnete sie und goss sie über das Tier. Dies schlug daraufhin mit seinen Flügeln, erst langsam, dann immer wilder, um dann laut zu gackern, zuerst blau und dann leicht grün anzulaufen, sich im Kreis zu drehen, dreimal zu springen und schlussendlich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die drei Goblins betrachteten mit staunenden Blicken das Farbenspiel, bevor Dogo wortlos die Flasche in eine seiner Taschen steckte, den Käfig ergriff und zurück zu der größeren Straße ging, von der die Gruppe gekommen war.
Taz und Limm warteten sitzend im Schatten des Drogenauktionshauses, während Dogo nach einem Gegner für sein Tier Ausschau hielt. Limm ergriff zuerst das Wort: »Sag mal, Taz, wie bekommste eigentlich die Muscheln so gut hin?«- »Ich benutze Salzwasser zum Kochen, und meine ureigenste geheime Zutat.« – »Geheime Zutat? Was nimmst du da?« – »Wenn ich es dir erzählen würde, wäre es ja wohl nicht mehr geheim.« – »Stimmt, aber gibt es eine Möglichkeit, dass du es mir verrätst?« – »Schon, vielleicht als Wetteinsatz.« Beide schauten hinüber zum Markt. Vielleicht gab es dort einen Vorfall, auf dessen Ausgang man wetten könnte. So schwiegen sie, hielten Ausschau und warteten auf Dogo. Einige Augenblicke später schaute Weitwurf zu Breitbrust fragend herüber, doch sein Blick blieb auf der Brust des Goblins hängen. »Was hast du denn da für einen großen, blauen Fleck auf der Brust?« Taz schaute an sich herunter. Ein handgroßer, königsblauer Fleck befand sich dort. Er hatte eine starke Intensität und ließ sich trotz den ersten Versuchen des Tauchers weder abrubbeln, noch verwischen. »Taz? Was wirst du denn so bleich?« fragte Limm, doch sein Gefährte regte sich nicht mehr. Seine Augen wurden glasig. Weitwurf erhob sich und schüttelte an seinen Schultern, benetzte sein Gesicht mit einigen Tropfen Wasser und gab ihm eine Ohrfeige. Er bewegte sich weiterhin nicht. Der Fischer wurde nervös, ging einige Schritte hin und her und klopfte sich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger auf der Stirn herum. In diesem Moment drang eine laute, tiefe Stimme vom Marktplatz herüber:
»Ihr, Diener Satakis, der Dämonenrat ruft zum Krieg gegen die Völker von Ordnung und Licht auf. Meldet euch im Heerlager! Jeden von euch erwarten Ruhm, Ehre und Schätze im Überfluss. Meldet euch im Heerlager. In zehn Tagen brechen die glorreichen Heere zu Diensten des Dämonenlords unter der Führung des Schädelträgers Samsa auf. Meldet euch im Heerlager!«
Limm war während dieser Worte wie gefesselt. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, doch sein Blick war weiterhin auf den anderen Goblin gerichtet, doch bei dem Namen Samsa sprang dieser panisch auf, würdigte seinen Freund keines Blickes oder Wortes und flüchtete in die nächstbeste Gasse. Das war die letzte Gelegenheit, zu der er seinen Freund sah.
Echo
Der Geschichten um die Blauhelme erster Teil
Jörg Meierotte
Frankfurt am Main, Buchenau
Dezember 2012, 2013